Die nationalen Staats- und Regierungsoberhäupter hintergehen die europäischen Bürgerinnen und Bürger – Ein offener Brief an die Europaabgeordnete Petra Kammerevert –

Liebe Petra,

zuletzt hat der Arbeitskreis EUROPA die Nominierung des Europäischen Rates für das Amt des Kommissionsvorsitzes erörtert.

Dabei haben wir uns sehr gefreut, mit welcher Deutlichkeit Du die Nominierung von Ursula von der Leyen kommentiert hast.

Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs reist in die Vergangenheit. Nach der Europawahl 2014 entstand der politisch überfällige Konsens, nur jene Personen für den Kommissionsvorsitz vorzuschlagen, die zuvor eine Spitzenkandidatur inne hatten.
Dieses Konzept ermöglicht es den Bürgerinnen und Bürgern – wie bei nationalen Wahlen – ihre Entscheidung sowohl an Inhalten als auch an Personen auszurichten.
Solches fördert die demokratische Legitimation und Akzeptanz europäischer Politik.

2019 aber gebären sich die Staatsoberhäupter erneut wie barocke Kurfürsten und nominieren nicht eine jener Personen, die sich der europäischen Bürgerschaft offen zur Wahl gestellt hatten.

Damit aber hat der Dünkel noch kein Ende. Statt wenigstens eine europapolitisch erfahrene Person wie Kai aus der Kiste zu zaubern, einigen sich die nationalen Oberhäupter mit Ursula von der Leyen auf eine Person mit ausschließlich deutscher Politikerfahrung und verweisen auf ihr Geschlecht sowie ihre Fremdsprachenkenntnisse. Demnach ist die Spitzenposition der europäischen Politik künftig nur noch in den Reihen versierter Übersetzerinnen zu suchen. Diese Entscheidung schadet der Idee Europa in zweifacher Hinsicht.

Das Votum der Wählerinnen und Wähler wird entwertet, da die von ihnen Gewählten ihr Personal-Versprechen gar nicht einlösen können, für das sie im Wahlkampf Einsatz gezeigt haben.
So kann man die Reputation eines Parlaments effizient ruinieren.

Ein Spitzenkandidat, Frans Timmermans (S&D), wurde nicht nominiert, weil er sich für die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union eingesetzt hatte. Wes Geistes Kind müssen die Mitglieder des Europäischen Rates sein, wenn sie den Einsatz für europäische Grundwerte zum Anlass für eine Ablehnung nehmen, nur weil jene Staaten, die ihre Rechtsstaatlichkeit bereits verletzt haben, ein weiteres Engagement für die Grundwerte verhindern wollen?
Auch hier ist die Empörung noch zu steigern, wenn man bedenkt, dass gegen die das Recht verletzenden Staaten dennoch eine ausreichende Mehrheit zur Nominierung bestand.
Eine solche Politik ist bestens geeignet, um das Vertrauen in eine Europäische Union, die die Grundrechte ihrer Menschen aktiv bewahrt, zu erschüttern.

Allerdings wird dadurch erneut deutlich, dass die Probleme der Europäischen Union weder vom Parlament noch von der Kommission ausgehen. Schaden geht aus von der Tafelrunde nationaler Staatsoberhäupter, die nicht bereit sind, den unmittelbar demokratisch legitimierten Institutionen jene Handlungsmöglichkeiten zu geben, die ihnen die Wählerinnen und Wähler zuweisen wollten.

Daher möchten wir Dich sowie alle anderen Abgeordneten der S&D-Fraktion ermuntern und auffordern, bei der anstehenden Wahl im Europäischen Parlament gegen Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin zu votieren und darauf zu bestehen, dass der Europäische Rat in einem zweiten Anlauf endlich eine Spitzenkandidatin oder einen Spitzenkandidaten der letzten Europawahl nominiert.

Mit ebenso solidarischen wie europäischen Grüßen

AK EUROPA der SPD Düsseldorf
Thomas Gestrich